Venezia and beyond mit Anastasia Kobekina
Wie stellen wir die Konzerte der Reihe «Music for the Planet» in den Zusammenhang der Transformation? Venedig, Stadt der Sehnsucht und der Träume, Stadt grosser vergangener Musik, doch gleichzeitig bedeutet sie den Tod als Ort der Heimsuchungen, der Versunkenheit in Mächte, die sich nicht kontrollieren lassen. Anastasia Kobekina meditiert in ihrer Venezia-Hommage in vergangenen und neuen Tönen über Traumbilder und den grossen Topos der Vergänglichkeit dieser Lagunenstadt, deren Tage durch den Meeresspiegelanstieg in Frage gestellt sind.
Neben etwa vierzig Opern, fünfzig Kantaten und Serenaden, nahezu hundert Sonaten und einigen Oratorien sind nicht weniger als … 500 Konzerte im Werkverzeichnis von Antonio Vivaldi aufgeführt. Die meisten davon sind für die jungen Waisenmädchen des Ospedale della Pietà in Venedig geschrieben, wo der «rote Priester» Violine und Komposition unterrichtet. Auch wenn die Violine mit nahezu der Hälfte dieser Sammlung von Werken den Löwenanteil für sich beansprucht, setzt der Komponist dennoch beinahe alle zu seiner Zeit gebräuchlichen Instrumente ein: So widmet Vivaldi dem Fagott etwa vierzig Werke, dem Violoncello etwa dreissig und der Flöte immerhin noch zwanzig.
Man glaubt, Tomaso Albinoni zu kennen, wenn man sein berühmtes Adagio summt. Irrtum! Dieses Adagio stammt nicht von ihm, oder zumindest nicht ganz: Es wurde 1945 von Remo Giazotto nach dem Fragment einer von ihm komponierten verlorenen Sonate geschrieben. «Verloren»: Das Wort trifft leider nur allzu gut auf das Erbe des italienischen Musikers zu, der das blühende Papierunternehmen seines Vaters hätte übernehmen sollen, bei dessen Tod jedoch beschloss, musico di violino zu werden (nachdem er sich selbst als dilettante veneto bezeichnet hatte). Seine an die achtzig Opern sind 1945 bei der Bombardierung von Dresden vollständig zerstört worden und es ist unmöglich, sein Leben genau nachzuvollziehen – zahlreiche dokumentarische Elemente fehlen bis heute. Es bleiben nur die «Überreste» seiner – wunderbaren! – Musik, um sein Andenken wach zu halten. Vor allem seine Instrumentalwerke haben sogar den grossen Bach bezaubert, der ihnen mehrere Themen für seine eigenen Kompositionen entlehnt hat.
Barbara Strozzi, die in Venedig geboren wird, als Claudio Monteverdi über San Marco herrscht, gilt als die erste Berufsmusikerin. Diese in der damaligen Zeit für eine Frau äusserst kühne Laufbahn verdankt sie zum Teil ihrem Vater Giulio Strozzi, der den literarischen und musikalischen Zirkeln der Dogen-Stadt angehört und dort grossen Einfluss ausübt. Er lässt seiner Tochter eine hervorragende Ausbildung angedeihen, die zeitweise durch Kompositionskurse bei Francesco Cavalli ergänzt wird. Ihr Vater ist es auch, der sie in die Akademien Venedigs einführt; hervorzuheben ist hier die von ihm persönlich gegründete Accademia degli Unisoni, aus welcher viele Kompositionen von Barbara Strozzi hervorgehen werden, denn die Akademiemitglieder legen der Musikerin Texte vor, die sie vertonen soll. Dies ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum sie sich nicht mit dem Komponieren von Opern befasst, einer Kunst, die zu jener Zeit in Venedig sehr en vogue ist, denn Barbara Strozzi hinterlässt der Nachwelt ausschliesslich Stücke für Singstimme und Basso continuo; diese sind in acht Sammlungen mit insgesamt 125 Einzelstücken überliefert – einer Zahl, mit der sie die meisten ihrer venezianischen Kollegen des 17. Jahrhunderts weit übertrifft. Viele ihrer Werke haben hochrangige Auftraggeber und/oder Widmungsträger; unter ihnen befinden sich beispielsweise der Doge Nicolò Sagredo, Kaiser Ferdinand III. und seine Gemahlin Eleonora von Mantua-Nevers, die Grossherzogin der Toskana Vittoria della Rovere und Herzogin Sophie von Braunschweig-Lüneburg.
Barbara Strozzi, die in Venedig geboren wird, als Claudio Monteverdi über San Marco herrscht, gilt als die erste Berufsmusikerin. Diese in der damaligen Zeit für eine Frau äusserst kühne Laufbahn verdankt sie zum Teil ihrem Vater Giulio Strozzi, der den literarischen und musikalischen Zirkeln der Dogen-Stadt angehört und dort grossen Einfluss ausübt. Er lässt seiner Tochter eine hervorragende Ausbildung angedeihen, die zeitweise durch Kompositionskurse bei Francesco Cavalli ergänzt wird. Ihr Vater ist es auch, der sie in die Akademien Venedigs einführt; hervorzuheben ist hier die von ihm persönlich gegründete Accademia degli Unisoni, aus welcher viele Kompositionen von Barbara Strozzi hervorgehen werden, denn die Akademiemitglieder legen der Musikerin Texte vor, die sie vertonen soll. Dies ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum sie sich nicht mit dem Komponieren von Opern befasst, einer Kunst, die zu jener Zeit in Venedig sehr en vogue ist, denn Barbara Strozzi hinterlässt der Nachwelt ausschliesslich Stücke für Singstimme und Basso continuo; diese sind in acht Sammlungen mit insgesamt 125 Einzelstücken überliefert – einer Zahl, mit der sie die meisten ihrer venezianischen Kollegen des 17. Jahrhunderts weit übertrifft. Viele ihrer Werke haben hochrangige Auftraggeber und/oder Widmungsträger; unter ihnen befinden sich beispielsweise der Doge Nicolò Sagredo, Kaiser Ferdinand III. und seine Gemahlin Eleonora von Mantua-Nevers, die Grossherzogin der Toskana Vittoria della Rovere und Herzogin Sophie von Braunschweig-Lüneburg.
Die 1982 in Greenville, North Carolina, geborene Caroline Shaw beginnt im Alter von zwei Jahren (!) mit dem Geigenspiel und bringt ihre ersten Kompositionen mit zehn Jahren zu Papier. Ausgestattet mit Diplomen der Rice University sowie der Universitäten von Yale und Princeton erhält sie 2013 als jüngste Preisträgerin überhaupt den Pulitzer Prize of Music. Das 2012 von Hannah Collins und Hannah Shaw uraufgeführte Stück Limestone & Felt [Kalkstein & Filz] für Viola und Violoncello ist – wie der Name es bereits erahnen lässt – eine Reflexion über die Materie, über Hart und Weich, «die Apsis einer Kathedrale und das Innere eines Hutes» (um die Bilder der Musikerin zu zitieren), und, im weiteren Sinne, ein klanglicher Dialog zwischen Widerhall und Gedämpftheit, wie man ihn in einer gotischen Kirche erleben kann, «zwei entgegengesetzte Arten, die Geschichte erfahrbar zu machen und die eigene Gegenwart zu konstruieren».
Das Oboenkonzert d-Moll von Alessandro Marcello gehört zu den zahlreichen italienischen Werken, die Johann Sebastian Bach bearbeitet hat; es wurde zu seinem Cembalokonzert BWV 974 (das zuweilen auch auf der Orgel gespielt wird). Das Stück ist der bedeutendsten Sammlung konzertanter Werke Marcellos mit dem Namen La Cetra [Die Lyra] entnommen. Der aus einer adeligen venezianischen Familie stammende Komponist – nicht zu verwechseln mit seinem jüngeren Bruder, Benedetto Marcello, der ebenfalls komponiert – ist gleichzeitig Schriftsteller, Philosoph und Mathematiker.
Die einen verfolgen zielstrebig ihren Weg und folgen ihrer Inspiration, andere suchen unablässig nach dem richtigen Ausdruck ihrer Stimme. Der 1937 in Kiew geborene ukrainische Komponist Walentyn Sylwestrow gehört zu den Letzteren. In einer sowjetischen Umgebung, wo die jungen musikalischen Talente wie Sportler herangebildet werden, ist er das Gegenteil eines frühreifen Genies: Ein typischer Autodidakt, nimmt er seinen ersten Instrumentalunterricht erst im Alter von 15 Jahren. Drei Jahre lang besucht er die Kiewer Abendschule für Musik und studiert parallel dazu Ingenieur- und Bauwesen. Mit 21 Jahren schreibt er sich am Kiewer Tschaikowsky-Konservatorium ein: Er hat begriffen, dass sein Weg die Musik ist. Und nur die Musik. Doch dieser Weg folgt mitnichten den vom sowjetischen Realismus vorgezeichneten Bahnen; Lichtjahre entfernt von den durch Andrei Schdanow aufgestellten ästhetischen Regeln, fühlt sich der junge Sylwestrow unwiderstehlich vom weiten Experimentierfeld der westlichen Avantgarde angezogen und lässt sich weder durch Einschüchterungen noch Drohungen beeindrucken. Mutig bildet er sich mit einigen Kollegen ausserhalb der akademischen Strukturen aus. Besonders in seinen ersten Werken wendet er die von Hanns Jelinek theoretisch untermauerten Prinzipien der Zwölftonmusik an. 1963 erhält er die Rechnung dafür: Nach der Aufführung seiner Sinfonie Nr. 1, die er als Abschlussarbeit am Konservatorium vorstellt, wird ihm das Diplom verweigert. Dies ist nur der Auftakt zu einer ganzen Reihe von weiteren Demütigungen und Schikanen, darunter sein Ausschluss aus dem Komponistenverband der UdSSR. So geht er seinen Weg allein weiter, überzeugt, dass seine «Mission» darin besteht, zu komponieren und dabei ganz seinem Gewissen zu folgen.
Während sein Land ihn ächtet, entdeckt der avantgardistische Westen seine Leidenschaft für den kühnen Kampf des Einzelgängers: 1967 wird Sylwestrow für seine 3. Sinfonie (Eschtaphony) mit dem Koussevitzky-Preis ausgezeichnet. Das Werk sorgt ein Jahr später in Darmstadt, dem Mekka der Zwölftonmusik, für Aufsehen. Mit Strawinsky, Bartók oder Stockhausen (die diesen namhaften Preis ebenfalls erhielten), gehört er somit zu den ernst zu nehmenden Komponisten dieses turbulenten 20. Jahrhunderts. Sylwestrow hätte diesen Weg weitergehen können, doch sein unabhängiger Charakter meldet sich. Eines der Grundprinzipien der Avantgarde umsetzend – das darin besteht, sich von allen Zwängen zu befreien, angefangen von denen der … Avantgarde –, nimmt er ab 1969 einen radikalen Kurswechsel vor. Aus der Distanz gesehen, wagen wir den Ausdruck «Neoromantik», andere mögen es «neue Einfachheit», «Minimalismus» oder «meditative Musik» nennen. Die 2002 komponierte und im selben Jahr von der Kiew Camerata in der ukrainischen Hauptstadt uraufgeführte Stille Musik (!) für Streichorchester fügt sich perfekt in diese Ästhetik ein; ein Blick auf die Überschriften der einzelnen Sätze genügt, um sich davon zu überzeugen:
«Walzer des Augenblicks», «Abendserenade» und «Augenblick der Serenade».
Stand Mai 2024