58. Gstaad Menuhin Festival & Academy 2014
Music in Motion
Seit Menschengedenken leben alle Völker dieser Erde ihre Emotionen in Tänzen aus. Die alten Griechen tanzten zu Musik, die auf Flöten, Lyren und Schlaginstrumenten gespielt wurde. Plato sagt, dass «der Tanz wie keine andere Kunst-Art die Seele der Menschen berühre». Aus archaischen Tänzen der frühen Hochkulturen aber auch aus Tänzen von Urvölkern entwickelten sich auf der ganzen Welt Tanzformen, Tanzkulturen und Tanzstile. Von der barocken Allemande bis zum Wiener Walzer, von Bossa Nova zum Tango: immer ist die Bewegung des Körpers Ausdruck eines Lebensgefühls. Der natürliche Wunsch des Menschen nach rhythmischer Bewegung dürfte demnach als Initialzündung angesehen werden, Musik zu machen, zuerst wohl nur als improvisatorische Form, erst später in Noten gesetzt. Schon im Mittelalter war die Tanzform auch Ausdruck des gesellschaftlichen Grades. Höfische Tänze für den Adel, bodenständige und lebensfreudige folkloristische Tänze für das allgemeine Volk. In unserer Zeit sind es Technorhythmen oder durch Zufallsgeneratoren erstellter eintöniger Elektrosound, die tänzerischen Kunstformen in Ballett, im Tanzen traditioneller Tanzrhytmen (Walzer!) oder freiem Ausdruckstanz gegenüber stehen. Die Auffassungen, welche Tanzform dabei durch Musik oder bloss Rhythmen begleitet wird, gehen bekanntlich diametral auseinander. Zum Glück gibt es innovative Projekte, welche die scheinbar unüberwindbaren Grenzen sprengen (SpiritYouAll by Bobby McFerrin, 19. Juli)! Aus Rhythmen afrikanischer Urvölker, jüdischen und maurischen Einflüssen entwickelte sich der heute bekannteste Tanz Spaniens, der Flamenco, welcher vor allem in Andalusien praktiziert wird. Den prominentesten Platz in der Schöpfung abendländischer Kultur erhielt der Flamenco in der Oper Carmen von George Bizet (5. Sept.).
Die vollkommenste und kunstreichste Tanzform ist seit dem frühen Barock der Ballett-Tanz, welcher ein Genre von grossen Tonschöpfungen initiierte. Tschajkowskis Nussknacker darf ruhig als krönendes Werk der Gattung der Ballettmusiken bezeichnet werden (23. Aug.). Auch Mendelssohn hat in seinem Meisterwerk, dem Sommernachtstraum nach Shakespeare, Tänze als Bühnenmusik geschrieben, die mit dem berühmten Hochzeitsmarsch bis heute zu den beliebtesten Werken gehören (16. Aug). Griegs Bühnenmusik zu Peer Gynt gehört dank den bekannten Tänzen wie Anitras Tanz, dem Marsch aus der Halle des Bergkönigs oder dem arabischen Tanz zu den meist gespielten Stücken der klassischen Musik.
Die Bewegung, die Fortbewegung, das Gehen – das Wandern, stellt eine Lebenshaltung oder eine Lebensform dar. Konflikte lassen sich oft besser lösen, wenn Konfliktparteien gemeinsam gehen, spazieren und dabei Probleme ansprechen. Staatspräsidenten lassen sich bei G8-Gipfeln beim Gehen im Park ablichten. Gedanken lassen sich bei einem Spaziergang besser ordnen als in statischer Form. Beim Unterwegs-Sein und auf Reisen bekommen Gedanken oft eine Leichtigkeit, und Ideen entwickeln sich und reifen heran.
Das Wanderermotiv war zu Beginn des 19. Jh. in Literatur und Kunst vor allem auch ein Ausdruck der erwachenden Selbstverwirklichung des Menschen, der Suche nach sich selbst, nach einer göttlichen Ordnung. Brahms berichtete seinem Biographen Heuberger von langen einsamen Wanderungen. Er wanderte stundenlang in den Wäldern des Schwarzwaldes um seine Sommerresidenz Baden-Baden und während den Sommeraufenthalten in Thun dem Thunersee entlang, um seine Inspirationen zu sammeln und zu Melodien zu formen.
Eine besondere Bedeutung hat das Wanderer-Motiv aber bei Franz Schubert. Der Müllersjunge verkörpert diesen Wanderer, welcher wandernd die Welt erfährt, sich verliebt und schliesslich daran zugrunde geht, sich aber dabei in einer emotionalen Zwischenwelt von Verführung, Leben und Tod befindet (23.7.). Schubert befand sich zeitlebens auf dieser Wanderung, litt unter unerfüllter Liebe, innerer Einsamkeit und Krankheit, aber er schaffte es wie kein anderer, in Zeiten größter seelischer Not, Werke von unendlicher Tiefe, Schönheit und metaphysischer Kraft zu schreiben (Wanderer Zyklus).
Musik ist im 21. Jh. in Bewegung, in elektronischer Form überall abrufbar und konsumierbar. Das Internet und die neuen sozialen Netzwerke ermöglichen es Künstlern, sich in unkomplizierter und kostengünstiger Weise mit Youtube-Filmen und intelligenter Kommunikation der Welt vorzustellen. Das Internet hat auch hier zu einer Demokratisierung geführt. Jede/Jeder hat dieselben Startbedingungen. Während ältere Konzertveranstalter und Organisationen oft lamentieren, dass Publikum aussterbe und nur noch eine kleine grauhaarige Elite an Klassik interessiert sei, stellen wir gleichzeitig fest, dass klassische Musiker bei Youtube und Facebook millionenfach angeklickt werden und Zehntausende von elektronischen Freunden haben. Die rasante Entwicklung der neuen Medien stellt eine Chance dar, zweifelsohne. Aber sind die sogenannten Freunde und die Millionen von Interessenten der musikalischen Selbstdarstellungen auch nachhaltige Musikliebhaber und Konzertgänger? Mit Musikern wie Valentina Lisitsa (4.8), Alison Balsom (27.7), Milos Karadaglic (26.7./9.8.), Julia Lezhneva (5.8.) nenne ich nur einige, welche durch die neuen Medien grosses Interesse auf sich zogen: im Falle von Lisitsa kann tatsächlich von einem Märchen gesprochen werden: Nachdem weder eine führende Agentur noch ein CD Label an der russischen Pianistin interessiert waren, wurde diese selber aktiv und lud ab 2007 regelmässig auf Youtube Filme ihres Klavierspiels hoch. In kurzer Zeit baute sie sich einen grossen elektronischen Fankreis auf. Ende 2012 hatte sie 56000 Abonnenten auf ihrem Youtube-Kanal, 40000 Facebook-Freunde und 50 Millionen Klicks auf allen ihren Filmen. Sie, die noch nie in London aufgetreten war, mietete auf eigene Faust die Royal Albert Hall in London und verkaufte über 5000 Karten! Die Sensation war perfekt. Mittlerweile ist sie bei einem Major Label unter Vertrag und eine führende Agentur vertritt sie weltweit...
Wir laden Sie herzlich ein, den Sommer 2014 live und physisch vor Ort im Saanenland mitzuerleben, sei es mit einem Ihnen bekannten und beliebten Musiker oder mit einem Youtube-Star, den Sie erst in elektronischer Form kennengelernt haben. Im Saanenland treten auch im Sommer 2014 alle Musiker physisch live auf, in den gewohnt erlebniswerten idyllischen Kirchen des Saanenlandes oder im imposanten Festivalkonzertzelt!